Mit 16 Jahren kam Tuğba vergleichsweise spät zum Fußball. Trotzdem schaffte sie sogar den Sprung in die Bundesliga. Auch heute noch ist sie eine außergewöhnliche Frau, die ihre Zeit und Kraft nun in ihr gesellschaftliches Engagement investiert. Im Interview mit „Fan von DIR“ erzählt sie über ihre Karriere, ihre Projekte aber auch über Vorurteile, die es nicht nur auf dem Pausenhof gab. 

Nahaufnahme von Tuğba bei einer Trainingseinheit

Interview mit Tuğba

Hallo Tuğba, du kamst erst vergleichsweise spät zu deinem Sport. Wie kam es dazu?

Der Grund, warum ich vergleichsweise spät angefangen habe Fußball zu spielen ist, dass meine Eltern es mir als Kind verboten haben. Sie waren der Ansicht, dass es sich für ein Mädchen nicht gehört Fußball zu spielen. Am Anfang habe ich meine Leidenschaft vor meinen Eltern geheim gehalten und mich heimlich auf dem Bolzplatz mit den Jungs getroffen. Letztendlich haben sich meine Geschwister und vor allem meine Brüder für mich eingesetzt und erreicht, dass ich von meinen Eltern die Erlaubnis bekommen habe im Verein zu spielen.

Was hat dir so gut am Fußball gefallen?

Auf dem Fußballplatz waren Hautfarbe oder Herkunft nicht so wichtig – sondern die Leistung war das, was vor allem gezählt hat. Es gab natürlich immer wieder Ausnahmen – vor allem im Stadion, wenn sich der ein oder andere Zuschauer rassistische Beschimpfungen erlaubte. Aber im Großen und Ganzen wurde ich beim Fußball eben für mein Kicken beurteilt und das hat mir besonders gutgetan – denn das ist meine Leidenschaft.

Auf dem Fußballplatz habe ich mich immer frei gefühlt. Ich hatte das Gefühl vollkommen in meinem Element zu sein, habe mich nur auf den Ball konzentriert und konnte alles andere loslassen.

 Wie wurde dann aus einem Hobby dein Beruf?

Ich würde mit 15 Jahren vom TSV Havelse – einem Fußballverein in der Region Hannover, wo ich aufgewachsen bin – gescouted. Ab diesem Zeitpunkt ging es sozusagen bergauf. 2008 wechselte ich zum Hamburger SV und startete somit meine Karriere in der Bundesliga. 13. Jahre nach Beginn meiner Fußballkarriere mündete meine Fußballkarriere schließlich beim 1. FC Köln, wo ich insgesamt 6 Jahre spielte.

Gibt es bestimmte Personen, die dich auf deinem Weg unterstützen?

Meine 10 Geschwister waren immer an meiner Seite und haben mich durch alle Höhen und Tiefen begleitet und unterstützt. Auch meine Eltern waren immer für mich da. Darüber hinaus gibt es eine handvoll Personen, außerhalb meines Familienkreises, ohne die ich diesen Weg vermutlich nicht so gut gemeistert hätte. Dazu gehören zum Beispiel meine ehemaligen Teamkolleginnen und mein Trainer. Ich war also immer von Menschen umgeben, die an mich geglaubt haben, mir Ideen, Inspiration und Stärke geschenkt haben. Diesen Menschen bin ich unglaublich dankbar.

 Was waren deine größten Herausforderungen / Rückschläge?

Die größte Herausforderung war für mich, meine Eltern und die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass auch Mädchen Fußballspielen können.

Die ersten Wochen als ich zum Hamburger SV gewechselt bin und von Zuhause weggezogen bin, waren außerdem emotional sehr herausfordernd für mich.

Wir sind als Familie sehr eng und mussten uns alle erstmal an die neue Distanz gewöhnen. Ich betrachte das aber nicht als Rückschlag, sondern eher als eine Wachstumsphase für mich, für meine Geschwister und auch für meine Eltern.

Was waren deine größten Erfolge? Was deine besten Erlebnisse, die du ohne den Fußball wahrscheinlich so nie gemacht hättest?

Durch den Fußball habe ich an neuem Selbstbewusstsein gewonnen und mir nach und nach vielmehr zugetraut. Ohne dieses Selbstbewusstsein hätte ich die nächsten Schritte meiner Karriere, die weit über den Fußball hinaus gingen, möglicherweise nicht gewagt.

Musstest du oft mit Vorurteilen kämpfen, sowohl aufgrund deines Geschlechts als auch wegen deiner Herkunft?

Auf jeden Fall. Die Schulzeit war für mich keine einfache Zeit. Der Schulhof ist manchmal gnadenlos – vor allem mit Personen, die „anders“ als die Mehrheit der Kinder sind. Als Mädchen mit offensichtlicher Migrationsgeschichte, die gerne mit den Jungs kickt, musste ich schon einiges schlucken und wegstecken. Aber am Ende des Tages hat mich das zu der Person gemacht, die ich heute bin. Diesen Kindern habe ich zum Teil meine heutige Stärke zu verdanken.

Tuğba mit ihrem Scoring Girls Mädchen in einem Trikotsatz der Köln Stiftung

Viele Profifussballerinnen müssen neben der sportlichen Karriere arbeiten – War das bei dir auch der Fall? Was hast du gemacht? Wie war das alles miteinander vereinbar?

Ich habe nebenher immer viel gearbeitet, um mich über Wasser zu halten. Ich habe zwar trainiert wie ein Profi, aber verdient habe ich wie ein Amateur. Im Frauenfußball hat sich zwar einiges gewandelt, aber finanziell macht sich dieser Wandel leider bis heute noch nicht bemerkbar. Die Frauenmannschaften werden ja bekanntlich leider nicht mit den gleichen finanziellen Mitteln ausgestattet wie ihre männlichen Kollegen.

Du bist gesellschaftlich sehr engagiert. Wie kam es dazu, dass du deine eigenen Projekte gegründet hast, anstatt zum Beispiel nur Schirmherrin zu werden? 

Als 2014 der Völkermord gegen meine Glaubensgemeinschaft durch den sogenannten Islamischen Staat verübt wurde und viele Geflüchtete aus dem Irak und anderen Regionen zu uns nach Europa kamen, war es mir ganz wichtig, sofort aktiv zu werden. Dabei war es mir wichtig mich mit etwas einzubringen, das ich wirklich gut kann. Da ich aus dem Bereich komme, lag es für mich nahe eine sportliche Komponente in mein Engagement mit einzubringen. 2016 gründete ich SCORING GIRLS – ein Sport- und Bildungsprojekt für Mädchen mit UND ohne Flucht- und Migrationsgeschichte. Leider wird vor allem Mädchen aus geflüchteten und sozialbenachteiligten Familien der Zugang zum Sport oftmals erschwert, nicht zuletzt wegen kultureller & finanzieller Hürden – wie es bei mir ja auch ähnlich der Fall war. In Köln kicken nun schon über 60 Mädchen von 8 – 18 Jahren bei uns s im Team – und das natürlich kostenlos. Jetzt wollen wir das Projekt in Berlin erweitern & somit mehr Mädchen die Chance geben, Teil unserer SCORING GIRLS+ Community zu werden.

Was würdest du anderen raten, die sich ebenfalls engagieren wollen, aber noch nicht so richtig wissen wie und wo?

Ich denke jeder Mensch hat etwas Besonderes zu bieten und kann aus seinem eigenen Bereich etwas zurückgeben und andere mit diesem Talent, Wissen oder mit seiner Persönlichkeit bereichern. In meinem Fall war das eben der Fußball. Letztendlich kann sich jeder im Bereich seiner Möglichkeiten einbringen. Es gibt vielfältige Wege sich für die Gesellschaft zu engagieren, sei es für eine Organisation, den örtlichen Verein, oder für Menschen aus dem eigenen Bekanntenkreis.

Was würdest du Mädchen raten, die auch gerne Profisportlerin werden möchten oder generell einen Traum verfolgen?

Traut Euch und glaubt an Euch selbst Mädels! Mit Mut, Leidenschaft und Fleiß kann man viel mehr erreichen als man denkt. Und selbst wenn es mal nicht klappt, werdet ihr nie da landen, wo ihr angefangen habt – sondern immer ein paar Schritte weiter. Man wächst und entwickelt sich nicht nur durch Erfolgserlebnisse, sondern besonders auf dem Weg dorthin und auch durch das ein oder andere Scheitern.

Viele weitere Informationen zu Tuğba, Scoring Girls und Hawar Help findet ihr unter: 

 
@tugbatekkal / @hawar.help / @germandream.de