Name(n): Katharina Bohnert / jarral Boyd

Beruf (e): Director Education & Development Women’s Flat Track Derby Association (WFTDA) & Antidiskriminierungstrainerin

Sport: Roller Derby

Social Media: Instagram &  Facebook

Interview mit Katharina und jarral

Hallo ihr beiden, wie ist euer sportlicher Werdegang und woher kommt eure Liebe zum Sport?

jarral: Bevor ich mit Derby angefangen habe, hatte ich nie einen Mannschaftssport gespielt. Nur Yoga. Aber ich wusste von Roller Derby und hatte immer gedacht, dass es was für mich wäre. Ich habe es als Kind im Fernsehen geschaut, neben GLOW (Glamorous Ladies of Wrestling). Zusammen haben die beiden mich wirklich geprägt. Im 2018 habe ich endlich damit angefangen, und zwar viel später als die meisten, mit 38 Jahren. Es hat gedauert, aber ich habe es zur richtigen Zeitpunkt gefunden. Als ich es am meisten gebraucht hat.

Katharina: Ich hab viele Sportarten als Kind ausprobiert – von Tennis, zu Fechten, Leichtathletik, etc. aber das alles immer nur kurz, und wie jarral auch meist nur wenig Mannschaftssport. Ich bin einfach nie irgendwo hängen geblieben. Ein paar Jahre habe ich Tischtennis im Verein gespielt und bin bei Wettbewerben angetreten, aber als Jugendliche habe ich dann den Zugang zum Sport wieder verloren. Bis ich Mitte Zwanzig dann auf Roller Derby gestoßen bin. Die Community und die Intensität haben mich sofort begeistert. Seitdem habe ich ein anderes Verständnis von meinem Körper und meiner Kraft, und nun kann ich Sport aus meinem Leben nicht mehr wegdenken.

Wie können sich unsere Leser*innen unter Roller Derby vorstellen?

Katharina: Ein Vollkontaktsport für FINTA* auf Rollschuhen, ausgetragen auf einer ovalen Bahn gegen den Uhrzeigersinn. 

jarral: Manche beschreiben es auch als “Rugby auf Rollschuhen”. Aber es gibt keinen Ball. Keinen Puck. Es ist auch keinen Wettrennen. Es treten 2 Teams gegeneinander an. Von je 14 Spieler*innen, sind 5 auf der Bahn. Davon ist eine Spieler*in die Punktemacher*in und muss innerhalb von 2 Minuten die Gegner*innen so oft wie möglich überrunden. Für jede*n überholte*n Gegner*in erhält sie* einen Punkt. Die restlichen Spieler*innen versuchen die*den gegnerische*n Punktemacher*in aufzuhalten oder der*dem eigenen zu helfen. 

Katharina: Man spielt also Offensive und Defensive zeitgleich! Legaler Körperkontakt begrenzt sich auf die Hüften, Schultern und den Vorderkörper. Zu illegalen Manövern gehören: Festhalten, Ellbogenschübe, Bein stellen, in den Rücken fahren. Dafür gibt es Strafminuten. Nach Ablauf der 2 Minuten kann das Team seine fünf Spieler*innen auswechseln. Das Spiel dauert 2 x 30 Minuten. Geregelt wird der Sport durch die Women‘s Flat Track Derby Association, einen freiwilligen Zusammenschluss von Teams aus der ganzen Welt. Hier ist ein kurzes Erklärvideo: Roller Derby 101: Gameplay 

* https://queer-lexikon.net/2020/05/30/finta/ Wir bemühen uns inklusive und aktuelle Sprache zu benutzen, sind uns auch bewusst, dass kein Begriff immer allen Personen gerecht werden kann.

Was liebt ihr an eurem Sport?

jarral: Alles. Dass wir die T-shirts von unseren Gegner*innen kaufen und tragen um die andere zu unterstützen. Dass wenn ich im Ausland bin, ich weiss dass ich mit dem Team in der Region trainieren, und wahrscheinlich auch nach dem Training ein Bier zusammen trinken kann, genauso wie zu Hause. Dass es in meiner Liga aus über 60 Leuten, kein 2 Menschen gibt, die sich ähnlich sind. Dass es so viel Spaß macht. Ich könnte Stunden lang darüber reden.

Katharina: Roller Derby ist eine der wenigen Sportarten, die mehrheitlich von FINTA gespielt wird. (Wir sprechen von Roller Derby und “Men’s Roller Derby” – machen also bewusst genau das Gegenteil von der Sprache in anderen Sportarten.) Neben Rollschuhfahren ist auch Ausdauer, Kraft, Geschwindigkeit und ein gutes taktisches Verständnis und Spielüberblick gefragt. Und so gibt es anders als bei vielen Sportarten im Roller Derby kein Körperideal: Egal ob groß, klein, dick oder dünn – Sportlichkeit und Performance werden bei uns nicht über Körperformen definiert. Außerdem legen die Teams auf der ganzen Welt viel Wert darauf, sich selbst zu verwalten. Spieler*innen bestimmen die Regeln selbst und stimmen darüber ab. Das heißt wir sagen wie wir den Sport spielen und organisieren wollen. Derby ist pures feministisches Empowerment. 

Wie viel Zeit investiert ihr in den Roller Derby Sport?

Katharina: Viel! Und ich mache den Sport schon seit über 10 Jahren. Vor der Pandemie bin ich regelmäßig 2-3 mal die Woche ins Training, habe zusätzlich persönliches Fitnesstraining gemacht, Kommitteearbeit für den Club geleistet, und dann kamen noch Teamaktivitäten, Strategie-Treffen etc. hinzu – das läppert sich. 2019 hatten wir eine super Saison und konnten uns auf Platz 24 in der Weltrangliste hochspielen. Da war die Motivation auch groß diese Zeit zu investieren. Mittlerweile habe ich mein Pensum aber runtergeschraubt. Ich arbeite zusätzlich noch für den Sport beim internationalen Dachverband, und bin daher total in Roller Derby eingespannt. Da kam die Pandemie dann ganz gut als verschriebene Pause.

jarral: Unter den normalen Zuständen, 6 bis 8 Stunden der Woche Training, dazu Committee Arbeit, ungefähr 1 zusätzliche Stunde. Wenn es um ein Spiel geht dann gibt es auch Vor- und Nachbesprechungen… manchmal Stammtisch…haha. Wie Katharina gesagt hat: Viel Zeit.

Valerie mit anderen Personen

Im letzten Jahr verkündete der Weltrugby Verband, dass Trans* Frauen zukünftig ausgeschlossen werden sollen. Dagegen wehrten sich Vereine und Verbände und auch im Roller Derby wurden heftig protestiert. Inwiefern bietet Roller Derby, eurer Meinung nach, inklusive Strukturen und Safe Spaces für trans* und inter* Personen?

jarral: Es kommt natürlich ein bisschen darauf an. Ich kann eher für uns als Bear City sprechen, weil es starke Unterschiede geben kann.

Ich habe im 2019 unser Diversity Committee gegründet, und ein Verhaltenskodex geschrieben, den*die jede*r unterschreiben und einhalten muss. Es gibt klare Verfahren, was passiert, wenn jemand gegen den Verhaltenskodex und die Sicherheit unseres Raums verstößt. Wir versuchen, in den Umkleidekabinen für Privatsphäre zu sorgen. Wenn wir zu einem Auswärtsspiel fahren, erkundigen wir uns, wie die Umkleideräume und die Duschsituation in der Gastgeberstadt sind. Glücklicherweise gibt es in der Liga viele Leute, die auf solche Dinge achten und dem Komitee Vorschläge unterbreiten. Als Komiteeleiterin melde ich mich persönlich bei allen neuen Skater*innen und lasse sie wissen, dass wir für sie da sind. Wir haben auch jemanden bei jedem Heimspiel, der ein Abzeichen trägt, das signalisiert, dass man sich an ihn wenden soll, wenn man Probleme oder Sorgen hat. Wir versuchen auch immer neue Infos und Bildungsmöglichkeiten zu finden und an die Liga anzubieten. Das geht für viele Themen, nicht nur die, die das LGBTQIA+ Community treffen.

Katharina: Roller Derby ist eine Teamsportart, in der Leistung und Wettbewerb, aber auch Fairness und Inklusivität unverzichtbare Elemente sind. Zumindest versuchen wir dies, auch wenn das natürlich in der Praxis nicht immer funktioniert, denn wir leben in einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft.Trotzdem arbeiten wir stets daran eine inklusive, niedrigschwellige, feministische und intersektionelle Gemeinschaft zu sein, in welcher jede Person, die Spaß am Sport hat und unsere sportlichen Ziele vertritt, einen fairen und offenen Raum findet. Angelehnt an unseren internationalen Dachverband WFTDA (Women’s Flat Track Derby Association) widersprechen wir dem Konstrukt eines binären Geschlechts und während in unserem Verein alle Menschen willkommen sind, sind unsere kompetitiven Travel Teams (A-, B- und C-Team) für alle Transgender Frauen, Intersex Frauen, cis-geschlechtlichen Frauen und alle nicht binären und gender-expansive Personen offen.

Nach wie vor sind viele Sportarten von weißen Menschen geprägt und PoC und Schwarze Menschen sind speziell in Teamsportarten kaum sichtbar. Wie können Sportvereine speziell Schwarze Menschen und PoC erreichen?

jarral: Es gibt so viele Dinge, auf die man achten muss, aber an erster Stelle steht dies: Setzt euch mit dem Rassismus in eurem Team/Sport auseinander und verpflichtet euch zu einer kontinuierlichen antirassistischen Arbeit. Wenn man das nicht tut, bringt man BIPOC in einen unsafe space.

Katharina: Wie jarral gesagt hat ist es wichtig, Menschen nicht in einen unsicheren Raum einzuladen, nur um Quoten oder Repräsentation zu erreichen. Erstmal müssten Sportvereine analysieren wie sie sichere Räume (emotional wie physisch) speziell für BIPoC Sportler*innen und Teilnehmer*innen garantieren können.

Was gibt es beispielsweise in eurem Verein für Unterstützung? Welche Regelungen oder Satzungen könnte man verbessern? Gibt es Anlaufstellen für Diskrimierung und einen Code of Conduct? Wichtig ist auch, dass es auf einer organisierten Ebene ein besseres Verständnis und Commitment, sowie eine Finanzierung gibt. Wir brauche klare Statements zu Anti-Rassismus von Sportverbänden und -organisationen. Vereine sollten von ihren Landesverbänden mehr Unterstützung bekommen. Reportsysteme müssten erstellt werden, Spielbeobachter*innen sollten bezahlt werden, Reisekosten oder andere Unkosten übernommen werden etc.

Mit dem ART (Anti-Racism Team) Project ist eine Plattform entstanden, dass bewusst Anti-Rassismus Arbeit im Sport und speziell im Roller Derby fördern möchte. Was ist das Ziel des Projekts und wer steckt dahinter?

Katharina: Der internationale Dachverband, die WFTDA, hat sich 2020 dazu verpflichtet eine antirassistische Organisation zu werden und dazu, Roller Derby zu einem sicheren Raum für BIPOC Mitglieder*innen zu machen und den Sport in eine neue Ära zu führen, die sich auf antirassistische Maßnahmen und intersektionale Zusammenarbeit konzentriert.

Um diese Ziele zu erreichen haben wir ein Anti-Rassismus-Team (ART) rekrutiert. Das Team besteht aus Roller Derby Spieler*innen oder Schiedsrichter*innen aus aller Welt mit gelebten rassistischen und disrkimierierenden Erfahrungen. Wichtig ist, dass dieses Team für ihre (emotionale und intellektuelle) Arbeit bezahlt wird, und dass die Community und die Organisation anerkennt, durch die Aufrechterhaltung von “White Privilege” und “White Supremacy” Systemen aktiv Schaden bei unseren BIPOC Mitglieder*innen verursacht zu haben.

Da ich bei der WFTDA als Director of Education and Development arbeite, habe ich das Privileg mit dem ART-Team zusammenzuarbeiten (und mit jarral, die Teil des ART-Teams ist), beispielsweise in einer Bildungs- und Accessibility Task Force.  

Hier könnt ihr mehr darüber lesen. The ART (Anti-Racism Team) Project » WFTDA Roller Derby Resources 

Wie können interessierte Leser*innen Roller Derby ausprobieren? Habt ihr Links oder Tipps, an wen man sich für ein Probetraining wenden kann?

Für Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 17 Jahren bieten wir sonntags von 10 bis 13 Uhr unser Junior Training an. Anmelden könnt ihr euch hierfür unter juniors@bearcityrollerderby.com

Für Volljährige bieten wir zwei Kurse pro Jahr an, in denen wir Anfänger*innen Rollschuhfahren und den Sport Roller Derby beibringen. Und auch sonst sind wir immer auf der Suche nach neuen Spieler*innen, (Non-)Skating Officials (Schiedsrichtern) und diversen Hilfskräften. Melde Dich unter recruiting@bearcityrollerderby.com

Mehr Informationen findet ihr unter http://bearcityrollerderby.com/ und https://www.facebook.com/bearcityrollerderby/, sowie beim Sport-Club Lurich 02 eV

Wenn ihr nicht in Berlin seid, Roller Derby Deutschland Bundesliga 2020 und Roller Derby in Deutschland | derbyposition 

Und zum Abschluss: Was ist euer Tipp an andere?

Katharina: Findet was euch Spaß macht. Ihr habt mehr Power und Kraft als ihr denkt. Lasst euch nicht von anderen sagen, was ihr tun könnt.