Name: Anne Walter

Sportbezug: Rollstuhltanzen, Para-Boccia

Youtube Channel: https://www.youtube.com/channel/UCgapdOr6XKr9T9N7F3zTNYw?view_as=subscriber.

 

Selfie von Anne

Annes Story

Ich heiße Anne Walter, bin momentan 36 Jahre alt und durch eine spastische Tetraparese auf den Rollstuhl angewiesen. Ich wohne in Mecklenburg-Vorpommern und bin gelernte Bürokauffrau. Durch meine körperliche Einschränkung beziehe ich aber seit 2010 Erwerbsunfähigkeitsrente. Natürlich geht es auch für mich im Leben darum, ziemlich viele Hürden zu bewältigen. Dabei hilft mir aber der Elektro-Rolli sehr viel. Mit ihm bin ich beweglich, bekomme das Meiste sehr gut bewältigt und bin immer flott unterwegs. Durch kleine Tricks und Kniffe schaffe ich es, in meinem Alltag weitestgehend allein klar zu kommen (bis auf die Pflege-Geschichte). Im Freundeskreis bin ich sogar oft für andere eine Hilfe.
Nur zu Hause sitzen kommt für mich nicht in Frage. Ich muss ständig in Bewegung sein. So kam ich auch zum Sport, den ich auf keinen Fall mehr missen will.

Rollstuhltanz ist für mich ein schöner Rollstuhlsport und eine angenehme Freizeitbeschäftigung. Seit 2010 tanze ich in zwei Kategorien, momentan aber nur im DUO. Hier tanze ich mit einem Rollstuhlfahrer. Ich habe aber auch schon KOMBI ausprobiert, wo der Rollstuhlfahrer mit einem Fußgänger tanzt. Damit alles passt, denkt sich jedes Pärchen eine eigene Choreografie aus, speziell auf Rollstuhlfahrer und/ oder Fußgänger zusammengeschnitten. Damit alle Rollstuhlfahrer Chancen haben, wird auch in unterschiedliche Taktgeschwindigkeiten unterschieden. Ich habe schon an unterschiedlichsten Turnieren teilgenommen, unter anderem am World-Cup in Cuijk (Holland), wo ich einmal auch Gold und Silber abräumte.

Hauptaugenmerk bei meinen sportlichen Aktivitäten lege ich aber ganz klar auf Para Boccia. Hier rechne ich mir gute Aufstiegschancen aus, es macht Spaß und fordert mich.
Hallenboccia ist ein Angebot, welches Menschen mit Behinderung den Zugang zu einer für sie möglicherweise noch ganz unbekannten Sportart öffnet. Das Spiel wird in der Halle auf einem begrenzten Spielfeld mit speziell entwickelten Lederbällen gespielt. Ziel des Spieles ist es, die eigenen Bälle näher an den Zielball, den so genannten Jackball, zu platzieren als der/die Gegenspieler. Die Bälle können geworfen, gerollt oder mit dem Fuß gespielt werden. Sportler mit geringen motorischen Möglichkeiten können ebenfalls teilnehmen. Sie dürfen spezielle Abrollhilfen (Rampen) benutzen. Das Spiel fördert und fordert insbesondere Konzentration, Zielgenauigkeit, Auge-Hand-Koordination und das taktisches Verhalten, sowie Spielverständnis. Para Boccia ist eine paralympische Sportart und speziell für schwerst behinderte Sportler geeignet, die in ihrer Mobilität stark eingeschränkt sind. Es bietet vor allem Menschen mit cerebralen Bewegungsstörungen die Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen und an Wettkämpfen teilzunehmen. Beim Para Boccia gelten die Regeln der International Sports Federation (BISFeD), die auch bei den Paralympics gelten. Breitensportlich eignet sich diese Sportart aber auch hervorragend für das integrativ-gesellige Sporttreiben von Sportlern mit und ohne Behinderung aller Altersgruppen.

Im Jugendalter war ich mit Freunden unterwegs, ein verlängertes Wochenende machen, im Seebad Lubmin, welches nicht so weit von Greifswald (meinem Heimatort) entfernt ist. Hier fingen die „Läufer“ unserer Gruppe an, auf dem Rasen Boccia zu spielen. Ich stand am Rand und sah zu. Für mich war klar: Das schaffst du auch! Kurzerhand probierte ich es. Klar, war mein Spiel um Längen nicht so gut, wie das der Anderen. Aber darum ging es uns allen nicht. Ich war dabei und wir hatten alle zusammen viel Spaß.
Jahre später erfuhr ich, dass der Sportverein, worüber mein Tanzen lief, eine neue Sparte aufmachen wollte: Para Boccia, eine ausschließliche Hallensportart. Ich zögerte nicht lange und wollte es mir unbedingt mal ansehen. Das war im Februar 2016.

Am Anfang waren wir eine kleine Gruppe von nur 5 Mitgliedern. Ich trainierte viel und fand für mich eine passende Wurftechnik. Dann kam im Februar 2017 mein erster Workshop, wo ich von vielen Seiten sehr gelobt wurde. Ich fand mich selbst aber gar nicht so, wie mich andere sahen. Mir wurde angeraten, mich doch beim jährlichen Qualifikationsturnier für die Deutsche Meisterschaft anzumelden. Bei dem Gedanken hatte ich erst recht Bauchschmerzen. Ich war gerade ein Jahr dabei, hatte ich überhaupt schon genug Potential? Ich konnte es natürlich nur raus bekommen, würde ich mich ins Abenteuer stürzen. Gesagt, getan – Anmeldung wurde ausgefüllt, eine behindertengerechte Unterkunft gesucht und gefunden, sowie ein Pflegedienst beauftragt, mir bei gewissen Dingen zu helfen. Dann war es im Frühjahr auch schon so weit und ich trat die Reise nach Düsseldorf an. In meiner Wettkampfklasse traten 8 Spieler/innen an, die ersten drei durften dann im September zur Deutschen Meisterschaft nach Hamburg. Meine Nervosität stieg immer höher. Zumal ich mit Hamburg persönlich auch viele schöne Dinge verbinde. Dorthin und dann auch noch eins der größten inländischen Turniere in meinem Lieblingssport… Ich musste aufpassen, damit ich nicht zu sehr ins Träumen abrutsche. Nach einem verpatzten Spiel gab es einige Siege. Schon bald war klar, dass ich im Halbfinale stand. Jetzt wollte ich es natürlich wissen und gab alles – sowohl körperlich, als auch psychisch. Dann hatte ich es ernsthaft geschafft, stand im Finale und fuhr zur Deutschen Meisterschaft nach Hamburg! Jeppieh! Jetzt kämpften die drei besten Spieler des Turniers um den großen Sieg. Ich konnte es selbst nicht glauben, aber ich habe es wirklich auf den ERSTEN Platz geschafft! Die Freude war grenzenlos. Zurück in der Heimat wurde natürlich noch emsiger trainiert und Tricks ausgearbeitet, wie man es dem Gegner schwerer machen kann. Nebenbei wurde wieder eine behindertengerechte, kostengünstige Unterkunft und ein Pflegedienst für Hamburg gesucht. Auf mein zweites Turnier freute ich mich riesig, ich konnte September kaum abwarten. Als es dann endlich soweit war und ich samt Gepäck und Assistenz (Ballasisstenz, die mir die Bälle gibt und wieder aufhebt) verstaut war, ging es los nach Hamburg. Dort waren wir wieder 8 Spieler/innen, zwei kannte ich ja bereits aus Düsseldorf. Mein erstes Spiel hatte ich gegen eine Spielerin, die ich noch nicht kannte. Langsam wurde ich nervös. Da ich noch ein paar Minuten Zeit hatte, erkundigte ich mich, wer diese Spielerin sei und wollte herausfinden, wie sie spielt. Als ich hörte, dass sie Mitglied der deutschen paralympischen Nationalmannschaft war, wurde meine Aufregung natürlich nicht gerade kleiner. Ich als Anfängerin sollte gegen Nationalmannschaftsmitglieder spielen? Na, mal sehen… Das Turnier wurde eröffnet und die Spiele begannen. Ich hatte schwitzige Hände wie noch nie. Die erste Runde ging an mich – so konnte ich schon nicht mehr „zu Null“ verlieren. Ein Spiel besteht aus 4 Runden. Auch die anderen Runden liefen souverän für mich und im Endeffekt hatte ich meine Mitspielerin besiegt. Ein großer Stein fiel mir vom Herzen. Es ging so weiter… Es stand bald fest: Ich befinde mich unter den besten 4 Spieler/innen. Die drei Bestplatzierten sind immer für das darauf folgende Jahr für die Meisterschaft qualifiziert und müssen nicht zum Qualifikationsturnier. Also musste ich noch einen Platz schaffen. Ich gewann das nächste Spiel und spielte danach um Platz 1 oder 2. Dieses Spiel ging im Tie-Break für mich aus und damit war ich Deutsche Meisterin! Wie ich das geschafft hatte? Ich wusste es selbst nicht ganz – freute mich natürlich aber riesig. Ich wusste nur, dass ich 2018 zur Deutschen Meisterschaft nach Saarbrücken fahre.

2018 wuchs unsere Gruppe in der Heimat, sodass wir zum größten Greifswalder Sportverein wechselten. Als ich nun mit einer Vereinskollegin eifrig trainierte, piepten auf einmal unsere Handys. Als wir es lasen, verschlug es uns fast die Sprache: Durch unsere guten Leistungen, hatten wir die Chance, nach Olbia (Sardinien, Italien) zu fahren, uns dort international klassifizieren zu lassen und dort an einem internationalen Turnier teilnehmen zu können! Sofort stand für mich fest: Dieses Angebot will ich auf jeden Fall wahrnehmen. Ca. drei Tage Bedenkzeit wurden gegeben – drei Tage der Planungen standen ins Haus. Wie mache ich das mit der Finanzierung? Wie organisiere ich mir die Pflege-Hilfestellungen, die ich benötige? Und nicht zuletzt: Fliegen mit Elektrorollstuhl? Fragen über Fragen. Meinem Sanitätshaus ging ich in der Zeit ziemlich auf die Nerven, ich brauchte ja schnellstmöglich die Papiere für die Rollstuhlbatterie, sie mussten mir zeigen, wo die Sicherung der Elektronik ist usw. Alle machten mit und es verlief reibungslos. Die Maße des Rollis konnten wir ja selbst ausmessen. Die Finanzierungsfrage gestaltete sich da schwieriger: Vom heimischen PC aus versendete ich viele Briefe mit der Bitte um Förderung. Ein Teil der Kosten konnte so gedeckt werden. Aber der Rest? Ich versuchte es im Privaten, sprach in der Familie mein Vorhaben und das Problem an. Hier konnte mir geholfen werden. Und sogar noch mehr: Über drei Ecken erfuhr ich, dass eine Bekannte sogar aus Italien stammt. Sie konnte mir helfen, Personen zu finden, die mir vor Ort bei der Pflege helfen. Perfekt! Ich sagte der Olbia-Reise zu und freute mich, wie ein Schneekönig.

Im September hieß es dann wieder Sachen packen. Die Deutsche Meisterschaft in Saarbrücken stand vor der Tür, im Anschluss ging es sofort weiter nach Olbia. In Saarbrücken war erst einmal ein großes „Hallo“, die Begrüßungen fielen immer herzlich aus. Die Boccianer sind wie eine Familie, wo irgendwo jeder zu jedem gehört. Schon in der Aufwärmphase war klar: Auch die anderen trainierten natürlich hart. Jeder Punkt würde jetzt zählen. Nach einem ersten Sieg verflog zwar etwas meine Nervosität, doch war ich mir trotz allem nicht sicher, ob ich das schaffen würde. Aber ich hielt mich wacker, kämpfte und erreichte schlussendlich wieder den Titel! Nach einer kurzen Abschlussfeier hieß es dann am nächsten Vormittag: Ab nach Frankfurt/ M., wo der Flieger nach Olbia wartete. Nach dem üblichen Prozedere wie Check-In und Rollstühle verladen, saßen alle auf ihren Plätzen. Der Flug ging ca. 1 Stunde und 45 Minuten und war sehr ruhig. Trotzdem wird Fliegen nie meine Lieblingsbeschäftigung. Am ersten Tag stand dann Training auf dem Programm. Bisher kannte ich nur Linoleum als Boden, dieses Mal war es Beton. Ich hatte vorher noch nie auf Beton gespielt. Draußen kann ich mit den Bällen nicht spielen, da ich mir sonst meine Bocciabälle kaputt mache, da die Gefahr besteht, dass die feinen handgemachten Nähte aufplatzen. Also hieß es noch mehr üben. Dann ging es zum Check der Bälle. Die Bälle sind in Größe und Gewicht genormt, was mit Waage und Schablone vor jedem größeren Turnier kontrolliert wird. Es stimmte alles und nun war der Rollstuhl dran. In meiner Startklasse (BC1) darf ich etwas höher sitzen, wenn es der Rollstuhl gestattet. Da ich einen Lifter im Rollstuhl habe, war das für mich kein Problem. Bis auf 66 cm Gesäßhöhe darf ich gehen, darüber auf keinen Fall. Damit das auch für jeden Schiedsrichter auf den ersten Blick sichtbar ist, dass ich in der Norm bin, bekam mein Rolli entsprechende kleine Markierungen mit Edding. Perfekt! Meine Spielausrüstung war gecheckt und ich bereit für noch eine kleine Trainingseinheit. Danach folgte nun das eigentlich wichtigste für mich auf diesem Turnier: Die internationale  Klassifizierung. Da ich in die paralympische Nationalmannschaft und bei internationalen Turnieren antreten wollte, für mich ein absolutes MUSS. Ich hoffte inständig, auch international in meiner Wettkampfklasse zu bleiben. In allen Anderen hätte ich keine Chance. Alles geschah in einem kleinen Raum, wo ein internationaler Klassifizierer, der Sportarzt und noch zwei Leute saßen. Ich wurde körperlich durchgecheckt, besonders mein rechter Arm, da das mein Wurfarm ist.

Am Abend war dann die offizielle Eröffnung des Turniers. Es gab kleine Darbietungen und alle antretenden Nationen stellten sich auf. Ich glaube, insgesamt waren es 12 Nationen. Es war eine sehr schöne Eröffnung und alle fieberten nun den Einzelspielen entgegen, die am nächsten Tag begannen. In meiner Wettkampfklasse traten 9 Spieler/innen an. Ich konnte leider nur einen Sieg vermerken, es blieb für mich Platz 9. Ich war einfach zu aufgeregt, hatte natürlich auch viel weniger Turniererfahrung als heute und die Kraft fehlte mir einfach. Trotzdem war ich super glücklich. Ich hatte meine internationale Klassifizierung und die ersten zwei Weltranglistenpunkte (1 für Turnierantritt, 1 für Sieg) in der Tasche.

2019 fing dann gleich mit einem Sichtungslehrgang in Saarbrücken an. Hier sollte nun endgültig entschieden werden, ob ich für das kommende Jahr Mitglied der paralympischen Nationalmannschaft sein werde. Voraussetzungen hatte ich ja gute. Beim Training schauten uns die Trainer über die Schulter und berieten dann. Am letzten Tag standen dann Einzelgespräche auf dem Programm. Hier erfuhr ich, dass ich es wirklich geschafft hatte und dabei war! Ich war mega stolz. Mein erstes Weltranglistenturnier als offizielles Mitglied sollte in Nymburk (Tschechien) stattfinden. Als ich sah, wer alles antreten sollte, verschlug es mir die Sprache: Mit mir zwölf Spieler/innen, angefangen mit Weltranglistenspieler 1. Wie immer freute ich mich auf das Turnier, noch dazu, weil ich dieses Mal auch im „Team“ antreten konnte.

„Team“ bedeutet, dass ich mit mindestens zwei weiteren Mitspielern der Nationalmannschaft gegen andere Teams der anderen Länder spiele. Gleichzeitig rechnete ich mir aber, gerade im Einzel, keine Chance aus. Die Konkurrenz war einfach sehr groß. Aber – ich wollte es so, liebte schon immer die Herausforderung. Inzwischen hatte ich auch ein zweites Ballset erhalten und konnte jetzt noch besser Spieltaktiken und Würfe ausarbeiten. Da das Budget der Nationalmannschaft es zu ließ, wurden die Turnier-, Unterkunfts- und Verpflegungskosten für Tschechien sofort getragen. Die Reisekosten legte ich aus, bekam sie aber hinterher auch erstattet. Da es für eine Assistenzperson zu viel wird, eine ganze Woche mich zu pflegen und gleichzeitig für das Geben, Aufheben und Bringen meiner Bocciabälle zuständig zu sein, brauchte ich also noch einen zweiten Person und dann konnte auch schon die Reise beginnen. Doch woher eine Pflegeperson nehmen? Es war klar, dass die Assistentin, die ich bereits hatte, meine Ballassistenz war. Glücklicherweise konnte ich dann in Greifswald über drei Ecken einen Assistenten finden, der sich bereit erklärte, eine Woche mit zu verreisen und mir Hilfestellungen zu geben. Die Kosten wurden teilweise von der Krankenkasse übernommen, aber nur als absolute Ausnahme.

Also konnte es ja endlich losgehen, nach monatelangem Training und kleineren Turnieren.  Der erste Tag in Nymburk verlief ähnlich, wie der erste in Olbia. Es gab wieder kleinere Trainingseinheiten, wo man sich an den Boden und das Umfeld gewöhnen konnte. Das Parkett war für mich deutlich besser. Zwischendurch ging es wieder zum Check für Bälle und Rollstuhl. Diesmal waren die Schiedsrichter noch genauer: Es reichte nicht, eine kleine Markierung an den Rollstuhl zu machen, bis wohin ich in die Höhe durfte. Es musste festgemacht werden. Dazu eignen sich am besten Kabelbinder. Doch wer hat so etwas einfach so in seinem Reisegepäck? Seit dieser Erfahrung jedenfalls ich… Als wir dann Kabelbinder auftreiben konnten und Bälle, sowie Rollstuhl gecheckt waren, begann die Eröffnungsfeier mit Einzug der Nationen und einem kleinen Programm, wo Sing- und Akrobatikdarstellungen geboten worden. Am nächsten Tag begannen die Einzelspiele. Mein erstes Spiel sollte gegen eine Tschechin sein, gegen die ich bei einem anderen Turnier verloren hatte. Das wollte ich auf keinen Fall wiederholen. Und ich tat es auch nicht. Mehrere andere Spiele folgten, darunter eins, gegen einen Fußspieler. Die Mehrheit der Spiele gewann ich und zwei Tage später spielte ich dann um Platz 3 oder 4. Dieses Spiel spielte ich wieder gegen die Tschechin von Tag 1. Dieses Mal konnte sie den Sieg verbuchen und für mich blieb es Platz 4. Obwohl ich haarscharf am Treppchen vorbeigeschrammt war, war ich sehr glücklich. Ich hatte es bei meinem zweiten Weltranglistenturnier ins Halbfinale auf Platz 4 geschafft. Das war viel mehr, als ich erwartet hatte. An den nächsten zwei Tagen folgten nun die Team-Spiele. Hier gingen in den „Spastiker-Wettkampfklassen“ (BC1/ BC2) 6 Teams an den Start. Für uns Deutsche blieb es auch leider bei Platz 6. Wenn man sich dagegen z.B. die Spanier und Tschechen anschaut, kann man wirklich nur eins sagen: Für uns heißt es üben, üben und nochmals üben. Nach einer echt gelungenen Abschlussparty mit riesigem Buffet und Livemusik packten alle die Koffer und traten die Heimreise an.

Wieder gut angekommen hatte ich schon das nächste Ziel im Auge: Im November fand die nächste Deutsche Meisterschaft statt, dieses Mal in Düsseldorf. Ich hatte in Nymburk genug echt gute Spieler/innen gesehen und hatte versucht, mir ein paar Tricks und Taktiken abzugucken, die ich jetzt im Training für mich vertiefen wollte. Ich hatte für meine Assistentin und mich vor einer ganzen Weile schon ein behindertengerechtes Zimmer in einem Düsseldorfer Hotel gebucht, so mussten wir jetzt für die Meisterschaft nicht mehr auf Suche gehen, sondern nur noch uns, das Gepäck und – ganz wichtig – meinen Ballkoffer im Zug verstauen. Ich freute mich  richtig auf die Meisterschaft. Ich konnte meine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Das Turnier lief sehr gut für mich. Nur eine Niederlage musste ich einstecken. Ansonsten konnte ich nur Siege verzeichnen. Die Niederlage holte ich mir ausgerechnet bei dem Spiel gegen meinen Nationalmannschaftsmitspieler. Gegen ihn spielte ich auch mein Finale, welches ich für mich entschied. Juhu, das dritte Mal konnte ich den Meistertitel mit nach Hause nehmen!

Für 2020 war eigentlich auch viel geplant. Beispielsweise wollte ich nach Zagreb zu meinem nächsten Weltranglistenturnier. Doch leider kam das Corona-Virus dazwischen, das meiste wurde verschoben oder ganz abgesagt und so bin ich seit fast 4 Monaten im Heimtraining und nutze Flure und Küchen als Boccia-Bahnen.

Natürlich kostet die Teilnahme an Wettkämpfen und Workshops, sowie die Sportausrüstung Geld, was nicht immer leicht aufzutreiben ist. Sehr interessant ist für mich jedes Mal aufs Neue die Sicherstellung der Pflege, durch Mitnahme einer Pflegeperson, die meist auch einen entsprechenden Obolus zu zahlen hat. Diese Kosten sowie die Kosten meiner Ballassistentin muss ich persönlich tragen. Sollte es ein Turnier oder Workshop sein, der über die Nationalmannschaft läuft, trägt das Budget der Nationalmannschaft die Kosten, sofern es sich im entsprechenden Jahresplan wiederfindet. Falls nicht, muss das Geld privat aufge­bracht werden, oder man sucht Sponsoren. Ich habe da in der Familie große Unterstützung, was natürlich viel hilft. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das sehr schwer ist, Sponsoren zu finden, was schätzungsweise durch Corona nicht gerade leichter geworden…

Gewöhnlich trainiere ich zwei- bis dreimal die Woche für ca. 3 Stunden. Stehen Workshops auf dem Programm, wird es auch schnell mehr. Es ist nicht immer einfach, aber es zahlt sich aus, wie man merkt.

Mein Tipp an Andere:

Und das kann ich Jedem auch nur mit auf den Weg geben: Wenn ihr einen Traum habt, kämpft dafür. Egal, wie unwirklich es im ersten Moment erscheinen mag. Ich habe z. B. den großen Traum, einmal im Para Boccia bei den Paralympics an den Start gehen zu dürfen. Erscheint auch im ersten Moment unwirklich, aber mal sehen… Auch mit Handicap stehen einem viele Möglichkeiten offen, erfolgreich zu sein und sich persönlich Gutes zu tun. Gerade im Behindertensport gibt es sehr viele Sparten. Man muss halt  nur immer Augen und Ohren offen halten. Die Para Boccia Spieler/innen trainieren meist mit den Bocciaspieler/innen zusammen. Der Unterschied ist, dass die Bocciaspieler/innen kein oder kein so starkes körperliches Handicap haben. In ihren Turnieren gelten etwas andere Regeln. Der Spielaufbau und das Prinzip ist aber dasselbe. Ich finde es schön, dass im Training alle gemeinsam sind, so findet sich die Inklusion auch viel stärker wieder. Da ich sehr viel mit „Nicht-Behinderten“ zu tun habe, fühle ich mich gar nicht so eingeschränkt. Irgendwie gleicht sich alles wieder aus, was der Eine nicht kann, kann aber der Andere und so wird das „WIR“-Gefühl noch mehr unterstrichen.