Name: Hannah 

Beruf: Studentin des Wirtschaftsingenieurwesens

Sportbezug: Quidditch, Magazin des unpopulären Sports (MUS), in der Vergangenheit: Lacrosse, Basketball und Fußball

Instagram / Facebook: @mus.magazin

Hannah beim Quidditchtraining

Hannahs Story

Habt ihr schon mal vom 1. FC Ackerfeld gehört? Nein? Kein Wunder! Diesen inoffiziellen Verein habe ich in der 5. Klasse mit anderen Mädchen aus meiner Schule gegründet, um gemeinsam verschieden Sportarten, wie Fußball, Rugby und Baseball auf dem Feld hinter meiner Siedlung zu spielen. Dass das FC in den Namen berühmter Sportvereine für Fußballclub steht, war uns damals nicht bewusst. Anfangs noch sehr motiviert fanden unsere Treffen jedoch schnell immer weniger häufig statt bis sich das Unterfangen ganz im Sande verlief.

Heute spiele ich Quidditch und bin sogar für das deutsche Nationalteam nominiert. Doch bis ich dahin gekommen bin, war es ein langer Weg voller Hürden und Selbstzweifel und voller Erlebnisse in verschiedenen Sportarten, die mich alle ein Stückchen weitergebracht haben. Denn so wie das S im Namen Hannah fehlt, fehlte auch meinem Körper hin und wieder die nötige Voraussetzung, um Sport zu treiben. Obwohl Verletzungen und Krankheiten mich zurückwarfen, sollte der Sport immer Teil von mir sein. Letztendlich haben sechs unterschiedliche Sportarten und dreizehn verschiedene Teams über die Jahre meine Persönlichkeit geprägt.

Sportliche Anfänge in der Leichtathletik

Das erste Mal so richtig Sport gemacht habe ich mit acht Jahren. Meine Eltern hatten mich zum lokalen Leichtathletikverein geschickt. Es gab dort einen gemischtgeschlechtlichen Kurs für Grundschulkinder, der mir am Anfang viel Spaß bereitet hat. Eines Tages hat sich das jedoch auf einen Schlag geändert. Ihr müsst wissen, dass ich eine Fehlhaltung der Füße habe. Genauer gesagt zeigen meine Füße bei jedem Schritt leicht nach innen. Damals relativ extrem, aber auch heute noch auffällig. An besagtem Tag sollten wir eine bestimmte Strecke sprinten. Nachdem ich fertig war und wir wieder als Gruppe zusammenstanden, meinte mein Trainer, dass ich nicht so „sexy“ rennen müsste, um „die Jungs anzumachen“. Dabei hat er meine Laufart übertrieben nachgemacht und mit Händen und Armen gewedelt „wie ein Mädchen“.

Ich habe mich so unwohl gefühlt, ich hätte heulen können. Nie wieder wollte ich zum Leichtathletiktraining gehen und bin es auch bald nicht mehr. Die folgenden Jahre habe ich damit verbracht, den Jungs bei uns im Hof beim Fußballspielen zuzugucken. Ich hätte gerne mitgemacht, habe mich aber nicht getraut zu fragen. Ich war ja schließlich „nur ein Mädchen“.

Stattdessen bin ich allein Inliner gefahren, habe mich auf dem Skateboard ausprobiert und bin Seilchen gesprungen und Stelzen gelaufen. Ich war weiterhin aktiv, aber nicht so, wie ich es eigentlich wollte. Irgendwann hat es meinen Eltern gereicht. Sie hatten gehört, dass in meinem Vorort ein Mädchenfußballteam gegründet wurde. Ich war inzwischen 11 Jahre alt, aber an meinem Selbstbewusstsein hatte sich nicht viel verändert. Schüchtern bin ich zum ersten Training gegangen und habe den Trainer erst mal gefragt, ob es auch möglich ist nur mitzutrainieren ohne richtige Spiele zu spielen. Ich hatte Angst, Schuld zu sein, wenn wir verlieren und wollte nicht verantwortlich für die Niederlage meiner Mitspielerinnen sein. Mein Trainer hat sich aber zum Glück nicht drauf eingelassen und schon bald sollte ich meine ersten Spiele absolvieren.

Harte Zeiten auf dem Fußballplatz

Wir waren grottig. Das Team war gerade erst gegründet worden. Wir hatten nicht genug Spielerinnen in den einzelnen Altersklassen, sodass wir U15 spielten, obwohl die meisten von uns erst 11 Jahre alt waren. Ich kann mich an wenige Spiele in der ersten Zeit erinnern, die wir nicht zweistellig verloren hätten. Aber gerade deshalb habe ich mich weiterentwickelt. Ich würde nicht allein schuld an einer Niederlage sein. Und so traute ich mich, auf dem Feld einfach mein Bestes zu geben. Mit der Zeit wurden wir besser. Wir haben auch mal Spiele gewonnen und es irgendwann sogar geschafft, uns die Pizza-Party zu verdienen, die mein Vater ausgelobt hatte, für den Fall, dass wir drei Spiele hintereinander nicht verlieren.

Und das, obwohl unsere Trainingsbedingungen schrecklich waren. Die erste Zeit waren wir jedes Training auf dem „Bambini-Platz“, einer kleinen, löchrigen Wiese hinter einem richtigen Ascheplatz. Nur für Heimspiele haben wir immer den einzigen richtigen Rasenplatz bekommen, der eigentlich nur von den Herren-Teams und vielleicht noch der A-Jugend bespielt wurde. Wir sollten uns ja schließlich nicht auf einem Ascheplatz die Knie aufschlagen. Wer würde uns denn dann noch heiraten wollen?

Als ich 15 Jahre alt war, wurde das Team aufgelöst. Der Verein wollte schon lange keinen Mädchenfußball mehr anbieten. Als dann immer mehr meiner Mitspielerinnen lieber Zeit mit ihrem Freund verbrachten, als auf dem Fußballplatz zu trainieren, war das Ende besiegelt. Die verbliebenen Mädchen, darunter auch ich, wechselten gemeinsam mit unserem Trainer zu einem anderen Fußballverein. Jetzt mussten viele von uns zwar sehr viel weiter zum Training fahren, dafür aber war der Frauen- und Mädchenfußball der Stolz meines neuen Vereins.

Ein weiterer Rückschlag

So sehr ich mich auf die Zeit freute, musste ich relativ schnell einen neuen Rückschlag hinnehmen. Eine Zecke hatte mich unbemerkt gebissen und mir Borreliose beschert. Bei mir führte das dazu, dass sich in meinen Knien immer wieder Wasser sammelte. Alle Versuche wieder mit Fußball zu beginnen endeten mit geschwollenen Knien oder Verletzungen. Zwei Meniskusrisse später musste ich einsehen, dass es einfach nicht sein sollte. Ich musste meinem Körper die Möglichkeit geben diese Krankheit zu überwinden, ohne ihm weitere Verletzungen zuzufügen. Und so trieb ich fünf Jahre lang keinen Sport.

Für mich war die sportfreie Zeit eine sehr schwere. Bis dato hatte ich mich immer über den Sport definiert. Einen Großteil meiner Freund*innen sah ich vor allem beim Training und ich hatte keine weiteren ausgeprägten Hobbies. Auf der Suche nach neuen Beschäftigungen beschloss ich zunächst Gitarre spielen zu lernen. Diese Idee habe ich aber ebenso schnell wieder verworfen, wie alle weiteren Ideen. Ich war nicht unglücklich per se. Aber es fehlte doch ein sehr großer Teil von mir.

Endlich wieder sportlich aktiv

Als ich 2010 mit dem Studium in Dresden begonnen habe, waren meine Knie fast ein Jahr lang nicht mehr dick geworden. So gab ich dem Sport noch einmal eine Chance. Genauer gesagt einem Unikurs im Basketball, denn Vereinsfußball hatte meine Knie in der Vergangenheit sehr mitgenommen. Hier fand ich eine neue Freundesgruppe und konnte wieder „Teil von etwas“ sein.

Daneben schloss ich mich bald auch wieder einem neuen Fußballverein an, musste aber feststellen, dass ich hier nicht glücklich werden würde. Das Team hat einfach nicht zu mir gepasst. Sport ist für mich nicht nur Sport. Hier treffe ich Gleichgesinnte. Leute, die genauso ticken wie ich. Und wir arbeiten zusammen auf gemeinsame Ziele hin. Wenn das nicht gegeben ist, erfüllt mich der Sport nicht. In diesem Verein war das nicht gegeben, also meldete ich mich nach einem Jahr wieder ab.

Kurz darauf ging ich für ein Auslandsjahr nach Frankreich und schloss mit dort dem Fußballteam meiner neuen Uni an. Im Gegensatz zu den meisten meiner Mitspielerinnen verfügte ich über viele Jahre Fußballerfahrung und entwickelte mich schnell zur Leistungsträgerin dieses Teams. Das war für mich eine neue Erfahrung. Hier hatte ich erstmals richtig Erfolg im Sport. Wir haben es geschafft, das wichtigste Turnier des Jahres zu gewinnen und das nicht zuletzt durch meinen Beitrag. Beim entscheidenden Elfmeter wies ich meine Angst zurück, ich könnte schuld an der Niederlage meines Teams sein. Ich nahm mir den Ball, zielte wie immer in die linke untere Ecke und verwandelte tatsächlich.

Hannah beim Elfmeter

Starke Frauen beim Lacrosse

Zurück in Deutschland, lockte mich ein weiterer Unikurs, diesmal im Lacrosse. Mit einem Schläger Bälle zu fangen und zu passen, war eine ganz neue Herausforderung. Ich genoss es bei einem Sport noch mal von Null zu beginnen und war beeindruckt von den starken Lacrosse-Frauen, die den Unikurs leiteten. So entschied ich mich den Fußball, zugunsten von Lacrosse im Verein aufzugeben. Insgesamt vier Saisons habe ich Lacrosse gespielt. Obwohl ich nicht mehr in diesem Sport zu Hause bin, hat er mir viel mitgegeben. Dank Lacrosse habe ich so viele weibliche Sport-Vorbilder, dass man diese nun nicht mehr an zehn Fingern abzählen kann.

Starke Frauen haben in all meinen verschiedenen Teams das Vereinsleben geprägt und die Spielerinnen gefordert und gefördert. Ich habe zudem auch persönlich Selbstvertrauen erlangt. Über die Jahre konnte ich mich zu einer immer besseren und für mein Team wichtigen Defense-Spielerin entwickeln. In meinem Team in den USA hat meine Trainerin mich jedes Spiel in die Starting Twelve gestellt und mich nicht einmal ausgewechselt. Und mit meinem Berliner Team sind wir ostdeutscher Meister geworden. Zum ersten Mal feierte ich in einem Sport bedeutsame Erfolge.

 „Lacrosse für den Sport – Quidditch für die Menschen“

Dass ich neben dem Lacrosse auch begann Quidditch zu spielen, lag vor allem daran, dass mich die Quidditch Community sehr fasziniert hat. In meinem Austauschjahr in den USA 2016/17 lernte ich Leute aus verschiedenen Teams kennen und alle Menschen waren charakterlich einfach großartig. Der Kern des Quidditch-Teams meiner Uni entwickelte sich in der Zeit zu meinen besten Freund*innen. Besonders toll fand ich die Inklusivität des Sports. Hier spielen alle Geschlechter zusammen.

Wieder in Deutschland, wollte ich diese tolle Gemeinschaft nicht missen und schloss mich neben meinem alten Lacrosse-Team auch dem lokalen Quidditch-Team an. Priorität hatte für mich aber immer noch Lacrosse. „Lacrosse für den Sport – Quidditch für die Menschen“ war dabei mein Leitspruch. Dieser Leitspruch entsprach aber schon bald nicht mehr ganz der Wahrheit.

Quidditch bringt neue Herausforderungen mit sich

Meine Quidditch-Coaches haben früh angefangen mich zu pushen. Sie haben mir viele Tipps gegeben und mich auf wichtigen Positionen eingesetzt, damit ich mich entwickeln konnte. Zunächst hat das jedoch nicht gut funktioniert. Lange Zeit habe ich mir mit zwei Männern eine Position geteilt. Die beiden hatten nicht nur mehr Erfahrung, sondern waren auch schneller und stärker. Ich wollte kaum aufs Feld, weil ich wusste, dass wir dann weniger erfolgreich spielen würden. So sehr mich die Gemischtgeschlechtlichkeit zum Sport gebracht hat, so verhängnisvoll war sie doch für mein Selbstbewusstsein auf dem Feld.

Neben dem Platz wurde ich ein immer wichtigerer Teil des Teams. Nach wenigen Monaten wählte das Team mich in den Vorstand unserer neu gegründeten Abteilung und so organisierte ich Spieltage, Stammtische und weitere Events. Das Ganze mit viel Überzeugung in mein Können. Aber auf dem Platz hatte ich noch lange mit meinem Selbstvertrauen zu kämpfen. In allen Bereichen der Quidditch-Gemeinschaft war ich sehr selbstbewusst – nur nicht wenn es um mein eigenes Spiel ging.

Große Selbstzweifel auf dem Pitch

In meiner zweiten Saison schickten mich meine Coaches zum Auswahltraining für den Natio-Trainingskader. Ich glaubte nicht daran, es wirklich schaffen zu können, doch die Natio-Coaches erkannten Potenzial in mir und nahmen mich mit in den Trainingskader, aus dem die Spieler*innen für die Europameisterschaft zusammengestellt werden würden. Ich konnte es nicht glauben. Überzeugt davon, dass sie einen Fehler gemacht hatten, verbrachte ich die Saison damit, meinen Platz im Team zu hinterfragen. Das heißt nicht, dass mir die Trainingslager mit meinen Mitspieler*innen nicht unglaublich viel Spaß gemacht hätten. Im Gegenteil: Der Trainingskader war eins der tollsten Teams, von denen ich je Teil sein durfte, auch wenn es nicht für den endgültigen Nationalkader reichte. Aber im Training traute ich mich kaum den Ball zu fordern und wenn er doch mal seinen Weg zu mir fand, gab ich ihn schnell wieder ab. Ich wollte nicht das Mädchen sein, was wieder den Ball verloren hat. Wenn ich mal einen Ball nicht gefangen habe, schossen mir ähnliche Gedanken durch den Kopf: „Toll, jetzt hast du wieder gezeigt, dass Mädchen nicht fangen können.“

Durch die zusätzliche Zeit, die ich auf dem Quidditch-Feld verbrachte, blieb immer weniger Zeit für Lacrosse übrig. Und obwohl ich zunächst weiterhin zu allen Trainings in beiden Sportarten ging, litt doch bald meine mentale Gesundheit darunter. Ich hatte keine Zeit mehr für meinen Freundeskreis, keine Zeit mehr etwas zu kochen und keine Zeit mehr abzuschalten. Nach monatelangem Überlegen hörte ich schließlich doch mit Lacrosse auf. Die Entscheidung war schwierig, weil für mich damit ein Raum wegfiel, indem starke Frauen sich selbst organisieren und weil ich das Gefühl hatte, mein Team im Stich zu lassen. Bis heute denke ich manchmal wehmütig zurück an meine Lacrosse-Zeit, aber alles in allem war es die richtige Entscheidung. 

Voller Erfolg: Nominierung für den Nationalkader

Seit ich mich sportlich in erster Linie auf Quidditch konzentriere, geht es mir mental sehr gut. Ich arbeite weiterhin daran, gute Routinen zu entwickeln und mich neben dem Sport und meinem Team auch um mich zu kümmern. Nichtsdestotrotz bleibt mir genügend Zeit und Energie an meinen sportlichen Zielen zu arbeiten.

Diese Saison habe ich es geschafft, mich auch auf dem Pitch auf mich zu konzentrieren. In meinem Team fordere ich den Ball ein und ziehe zu den Torringen, statt den Ball gleich wieder abzupassen. Ich gehe das Risiko ein, den Ball zu verlieren und glaube an mich, auch wenn ich Fehler mache. Das hat dazu geführt, dass ich mich stetig verbessere und so haben die Natiocoaches mich diese Saison auch für den Nationalkader für die Weltmeisterschaft in den USA nominiert.

Trotz diesen sportlichen Fortschritten gibt es immer noch viele Situationen, in denen ich nicht die starke Frau bin, die ich gerne wäre. So nehme ich Sportangebote wie Unikurse nicht wahr, wenn nicht explizit geschrieben wird, dass der Kurs gemischtgeschlechtlich oder für Frauen ist. Als Frau könnte ich ja unerwünscht sein. Ich traue mich auch nicht als Schiedsrichterin auf dem Platz zu stehen oder Kommentatorin in Livestreams zu sein. Hier überwiegt noch die Angst, nicht gut genug zu sein. Aber auch daran werde ich weiterarbeiten. Langsam aber stetig.

Grundsätzlich bin ich optimistisch, dass ich künftig auch in diesen Bereichen erfolgreich sein kann. Denn meine sportliche Lebensgeschichte ist trotz der vielen Rückschläge und Ungewissheiten durchaus eine Erfolgsgeschichte. Wär hätte schließlich gedacht, dass aus dem kleinen Mädchen vom 1. FC Ackerfeld mal eine deutsche Nationalspielerin im Quidditch wird?

Mein Tipp an andere:

Was du aus meiner Sportgeschichte lernen kannst ist vielleicht Folgendes: Lass dich von Rückschlägen, Hindernissen oder negativen Ergebnissen nicht aus der Bahn werfen. Lass dich von Selbstzweifeln nicht in dem Stoppen, was du wirklich machen willst. Trau dich den Sport auszuüben, den du wirklich liebst und gib dich nicht mit etwas zufrieden, was nur “irgendwie Sport machen” ist. Die Erfolge werden sich einstellen – auch wenn es erstmal nur eine Pizza-Party ist.