Beruf: Kneipenbesitzerin und Mutter
Sportbezug: Triathlon, Rad fahren, Marathon
Website: https://www.alpecincycling.com
Strava: https://www.strava.com/athletes/33289944
Instagram: @frau_spatz
Valeskas Story
Mehr als mein halbes Leben lang war ich nie wirklich gut in sportlichen Dingen. Ich war immer im Team Teilnehmerurkunde und generell waren Bundesjugendspiele ein Graus. Ich träumte zwar stets vom großen Durchbruch und von bewundernden Blicken meiner Mitschüler*innen, doch ehrlich gesagt war mein Auftritt immer ziemlich erbärmlich. Ich war nicht schnell, nicht ausdauernd, ungeschickt, ängstlich und alles mit Bällen hat mehr als gar nicht funktioniert. Noch heute ernte ich ein Augenrollen meiner Hunde, wenn ich versuche den Ball zu werfen und dieser dann recht traurig knapp vor meine Füße plumpst. So war es halt, ich war unsportlich.
Meine Eltern sind beide von recht ambitionierten Leichtathleten-Eltern erzogen worden und haben meines Wissens ziemlich darunter gelitten. Ich glaube, mich wollten sie einfach in Ruhe lassen und mir diese Erfahrungen ersparen. Ich weiß noch, dass mein Vater mir einmal einen Tennisschläger in die Hand drückte und ich auch einen Sommerferienkurs an der Hennefer Sportschule absolvierte. In den golden Zeiten von Graf und Becker wäre ein kleines Kröllsches Tennisspieltalent sicher gern entdeckt worden. Aber nach sechs Wochen war ich nur in den Tennislehrer verschossen und nach wie vor die Einzige, die nicht mal den Ball traf. So war es, so blieb es, so blieb ich.
2006 habe ich meinen Sohn auf die Welt gebracht und ich erinnere mich an stundenlange Spaziergänge mit ihm im Tragetuch und meinem Hund. Ich hatte tagsüber Zeit. Ich arbeite seit dem Jahr 2000 in einer Kneipe in Bonn, die mittlerweile mir gehört. Ich habe die Nächte am Tresen verbracht und die Tage mit dem Lütten und Fredda. Wir waren die meiste Zeit draußen. Als Sönke in den Kindergarten ging, begann ich mit kleinen morgendlichen Laufrunden. Ich kann nicht mehr genau sagen, was mich dazu bewegt hat. Ich glaube, ich war nicht ganz zufrieden mit meinem Körper und ich hatte den dringenden Wunsch, etwas nur für mich zu haben. Eine kleine Zeit nur mit mir. Und die Zeit war wirklich klein, denn ich schaffte es grade mal so einmal um den Block. Keuchend, unzufrieden und mit wahnsinnig schlechten Schuhen. Aber ich blieb dran und ehrgeizig.
Ich lief beinahe jeden Tag. Merkte wie ich es regelmäßig eine kleine Ecke länger schaffte. Noch bis zu dem Punkt. Heute mal bis zu dem. Im Nachhinein betrachtet, bin ich ganz froh, dass ich meine ersten Laufversuche nicht getrackt habe. Ich vermute nämlich, dass meine ersten Runden nur ein paar hundert Meter waren und dies hätte meinen Stolz sicher getrübt und mich direkt zum Aufgeben gebracht. Laufen ist ein wahnsinnig guter Sport für mich gewesen, um überhaupt etwas zu beginnen. Du brauchst nur dich, einen kleinen Zeitraum und Schuhe. Und ab geht’s.
Die Kondition wurde mit jedem Tag besser und bald gehörte diese Routine in meinen Tag, wie aufstehen, frühstücken, Zähne putzen. Es befreite mich kurz vom Alltag, meiner Müdigkeit und ich spürte meinen Körper wieder, fühlte mich wohler und ausgeglichener. Ich nahm mir kleine Ziele vor und nahm an ersten Jedermann-Veranstaltungen teil. 10 Kilometer Nachtläufe in Köln und Bonn, in Zeiten, mit denen ich wirklich nicht angeben konnte. Aber ich war stolz und hatte endlich eine Urkunde. Ha! Bundesjugendspiele, ich lach dir ins Gesicht!
Meine Ziele wurden größer und ich meldete mich für einen Halbmarathon an. Ich weiß noch, wie unfassbar stolz ich war. Ich dachte und fühlte wirklich, dass das eine der größten Leistungen war. Ich dachte nicht, dass das zu toppen sei. Ich muss mir diese Vergangenheits-Valeska manchmal wieder vor Augen führen. Heute laufe ich eine Halbmarathonstrecke aus dem Stand, manchmal einfach so, weil ich grade Lust hab und zwei Stunden Zeit. Danach geh ich duschen und bin nicht mehr so stolz auf mich, was eigentlich schade ist.
Seit elf Jahren laufe ich regelmäßig, aber natürlich gab es bei mir auch Dinge und Umstände, die dazwischen funkten und ich den Sport nicht mehr so diszipliniert betrieb. Bis zum Jahr 2014, in dem ich von Freunden gebeten wurde, den Laufpart einer Triathlonstaffel in Bonn zu übernehmen. 15 Kilometer, gar kein Problem für mich, wie ich dachte und schmiss mich recht unvorbereitet auf die Strecke. Ich musste übel dafür büßen. Es waren sicherlich die längsten 15 Kilometer, die ich mir vorstellen konnte und ich musste die Tage nach dem Wettkampf mehr krabbeln als gehen. Menschen hatten sicherlich ihre wahre Freude an mir, wenn sie beobachten konnten, wie ich Treppen nehmen musste. Ich kann mich nicht erinnern, je wieder so einen schrecklichen Muskelkater gehabt zu haben.
So schnell die Form kommt, so schnell geht sie auch wieder und ab da war ich wieder ganz bei mir und der Bewegung. So etwas sollte mir nicht mehr passieren und die besagte Triathlon-Staffel war es auch, dass sich meine Sportambitionen erweiterten. Ich wollte den Triathlon auch alleine können und schaffen. Ich wollte meinen Marathon laufen und ich tat es. 42,195 Kilometer das erste Mal auf Mallorca. Ich bekam den Startplatz zum Geburtstag geschenkt und meine Triathlon-Staffel-Schwimmerin-Freundin begleitete mich. Der Marathon in Palma ist so, dass man sich relativ häufig über den Weg laufen kann und Ju tauchte immer wieder an Ecken und Strassen auf, lief ein paar Meter mit mir mit, sang, klatschte, feuerte an und ich hätte ihr am liebsten meinen Wasserschwamm ins Gesicht gedrückt. Ab Kilometer 30 hasste ich alles und jeden und am meisten mich selber. Ab Kilometer 40 liebte ich alles und jeden und am meisten mich selber und heute bin ich unendlich dankbar, dass sie da war, mich ins Ziel peitschte und meine Wut aushielt. Sport ist seltsam. Diese Belastung macht so wahnsinnig krasse Dinge mit einem. Ich lief den Marathon nochmal in Bonn, mit weniger Aufregung und ich war eine halbe Stunde schneller. Einfach so, ohne dass ich mir den Stress gemacht habe. Manchmal ist es auch einfach der Kopf und eine gewisse Gelassenheit.
Weil ich den Triathlon auch alleine stemmen wollte, jammerte ich meinem besten Freund und Triathlon-Staffel-Radfahrer die Ohren voll, er möge bitte nach einem Rennrad für mich die Augen offen halten und an meinem 37. Geburtstag war es soweit. Da stand es nun, ein kleiner Traum. Auf einer meiner ersten Ausfahrten legte ich mich natürlich wegen Bahnschienen auf die Nase und brach mir den Mittelhandknochen.
Ich muss sagen, dass ich recht unsicher und ängstlich auf dem Rad saß und der Unfall hat die Sache nicht besser werden lassen. Ein weiteres Jahr verging und Rosi, das Rennrad, stand in meinem Wohnzimmer und wartete. Von heute auf morgen, gab ich mir einen Ruck, verabredete mich mit Ro und wir fuhren. Wir fuhren die Triathlon Bonn Strecke und ab da war es geschehen. Ich weiß noch, wie Ro an dem ersten kleinen Berg stehen bleiben musste, weil er ein kleines Problem mit seiner Kette hatte und er mich schickte und sagte: „Fahr, ich bekomm dich schon ein‘ und dann kam er nach und wunderte sich, dass ich einfach schon hochgefahren sei. Er dachte, er würde mich früher am Hang einholen. Ich bin auf dem Rennrad von Anfang an gern geklettert und lieber Bergauf als runter gefahren. Es scheint mir einfach zu liegen und da war es nun endlich. Endlich habe ich gefunden, was ich richtig gut kann.
Seit dem sind keine zwei Jahre vergangen und ich fuhr und fuhr und fahre und fahre. Natürlich liebe ich den Wettkampf, ich bin ehrgeizig und ich gebe mich nicht zufrieden mit erreichten Zielen. Ich habe direkt das Nächste vor Augen und ich neige dazu, immer noch eine Schippe drauf legen zu wollen. Aber ich liebe es auch einfach. Ich bin noch nie schlecht gelaunt von einer Ausfahrt zurück gekommen. Es gab schon etliche Tage, da habe ich mich mit rappelvollem Kopf aufs Rad gesetzt und bin happy und ausgeglichen, aufgeräumt und voller Elan zurück gekehrt. Ich habe weniger Kopfschmerzen und ich kenne auch keine schlaflosen Nächte mehr, in denen man grübelt, ohne genau zu wissen worüber. Thank you cycling von ganzem Herzen dafür! Mein Rad ist mein Krafttier.
2020 sollte mein Jahr werden. Ich hatte das Glück ins Rookie Team Alpecin aufgenommen zu werden. Feel like a pro! Betreut, ausgestattet und gesponsert mit Traum-Rennrad-Zielen wie den Ötztaler Radmarathon oder die L’étape du tour vor Augen und dann kam Corona. Das hat dem Team, mir und so vielen anderen so viele Striche durch sämtliche Rechnungen gemacht. Aber auch hier muss ich sagen, dass mir das Radfahren, die Zeit da draußen, in der es sich anfühlen konnte, als sei alles wie immer, dafür gesorgt haben, dass ich noch immer Kraft habe. Meine Kneipe leidet natürlich sehr unter der Situation und der Laden und mein Team brauchen eine Chefin, die Kraft hat, auch noch eine ganze Weile. Und diese Kraft ziehe ich aus meiner Familie und meinem Sport.
Ich habe meine Ziele nicht aus den Augen verloren. Ich möchte den Stelvio noch immer fahren, meine Marathonzeit verbessern, vielleicht mal eine okaye Schwimmerin werden und den Triathlon in Bonn ohne meine Freunde stemmen oder sogar mal eine Distanz erhöhen. Ich möchte mit dem Rennrad noch so viele Punkte anfahren und ich schmeiße mich jeden Tag in den Wettkampf mit mir selber. Das Jahr hat mir bisher aber gezeigt, dass es nicht immer hilfreich ist, sich zeitliche Ziele für Vorsätze zu setzen. Das macht vielleicht am Ende doch nur unglücklich. Ich habe jedenfalls aufgehört zu sagen, was ich alles gemacht haben möchte bevor ich 40 werde, denn das bin ich nun in diesem Jahr geworden. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass ich das Rennradfahren für mich entdecken konnte und hätte das gern früher getan. Natürlich denke ich manchmal daran, was aus mir hätte werden können, hätte man mir keinen Tennisschläger, sondern ein Fahrrad in die Hand gedrückt. Hört einfach nie auf nach etwas zu suchen, was man richtig gut kann, und was einen richtig glücklich macht.
Leider ist die Rennradwelt noch immer sehr Männer dominiert und mir sind auch schon einige Rennradmacker begegnet. Bis zu dem Zeitpunkt, wenn ich sie am Berg stehen lassen kann, weil ich einfach vorbei ziehe oder beweise, dass ich mein plattes Hinterrad auch alleine wechseln kann, muss und musste ich mir schon so manchen Blick oder Spruch gefallen lassen.
Ich kenne aber mehr tolle Männer als blöde, beziehungsweise fahre ich nur mit tollen Männern und ich bin sicher, dass ich auch deswegen so gut auf dem Rad geworden bin. Der meist körperliche Vorteil eines Mannes ist einfach wahnsinnig gemein und ich muss mich doppelt so sehr ins Zeug legen, um dran zu bleiben. Das ist nicht immer einfach, aber es härtet ab und macht zäh. Ich freue mich nach wie vor über jede Frau, die mir auf dem Rad entgegen kommt und ich hoffe so sehr, dass die Frauen im Radsport gestärkt werden, mutig werden, alles fahren und sich beweisen können. Wir sind keine Cyclebabes! Wir sind Sportlerinnen!
Ich kann mir vorstellen, dass es nicht bei jeder Person, der Sport ist, der einen erdet, glücklich macht und über sich hinaus wachsen lässt. Aber Fahrrad fahren macht etwas mit einem. Aus eigener Kraft voran zu kommen, das Gefühl zu bekommen überall hingelangen zu können, ist ein kleines Stück Freiheit in einer vollgepackten Welt. Ich bin selbstständig, Mutter und ich habe Familie, Haushalt, Freunde, Hunde und das Übliche. Früher hatte ich das Gefühl, nie Zeit zu haben und heute frage ich mich, was ich eigentlich gemacht habe, dass der Tag und die Nacht immer so schnell zu Ende waren. Ich bin sicher, dass immer ein Stück Zeit übrig bleibt, nehmt sie euch!
Und in einem Jahr ohne Wettkämpfe habe ich gelernt, auch ohne Startnummer über mich hinaus wachsen zu können. Mit kleinen und verrückten täglichen neuen Challenges – mit mir und gegen mich selber.
In Foren und Gruppen lese ich häufig „Ich habe grade erst angefangen, habt ihr einen Tipp für mich?“ und ich kann dazu nur sagen: Fahr einfach. Wenn du es so liebst wie ich und so viele andere, kommt der Rest von allein. Und ich habe mal gehört: Jeder kippt in Klickpedalen nur einmal um. Keine Angst!
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