Name: Heike Acker

Beruf: Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung / Jobcoach 

Sport:  Fußball

Facebook: @BehindertensportgemeinschaftNeckarsulm

Instagram: @bsg_neckersulm

Homepage: https://www.behindertensportgemeinschaftneckarsulm.de

 

Heike Acker mit Haydar

Interview mit Heike

Welche Sportarten hast du früher selbst gemacht?

Ich habe mich in verschiedenen Sportarten ausprobiert, Schwimmen, Handball, Judo, doch geblieben bin ich letztendlich beim Fußball. Wir waren damals eine eingeschworene Gemeinschaft und das Team war wie eine Familie. Für mich war es schon damals wichtig, dass auch schwächere Spielerinnen ihre Chance im Team erhielten und auch außerhalb des Platzes immer mit eingebunden wurden. Leider steht heute sogar im Jugendbereich oft schon der Leistungsgedanke im Vordergrund. Es ist daher für Sportler, die dem Anspruch nicht genügen, sehr schwierig in einem aktiven Team gleichberechtigte Spieler zu werden. 

Wie kamst du zum Fußball? 

In meiner Kindheit war Fußball der Familiensport schlechthin. Alle meine Onkel und mein Bruder haben gespielt, auch in höheren Klassen. Nach einer kurzen Episode im Handball habe auch ich mit 10 Jahren angefangen, Fußball zu spielen. Mädchenfußball war damals in den siebziger Jahren ganz neu und nicht alle Vereine waren dem gegenüber aufgeschlossen. Die Anfänge im Damenfußball waren wirklich schwierig und ich habe mich immer sehr über die blöden Sprüche der Männer am Spielfeldrand geärgert. Meine gesamte aktive Zeit spielte ich in der damals neu gegründeten Damenmannschaft des FSV Cappel. Ich hatte einen starken Torschuss und bald auch einen guten Überblick im Spielverlauf. Obwohl ich die Jüngste im Team war, übernahm ich daher nach einiger Zeit die Rolle des Libero. Es machte mir viel Spaß aus dieser verantwortlichen Position heraus manches Spiel zu unseren Gunsten zu entscheiden. In den 10 Jahren meiner aktiven Zeit waren wir sehr erfolgreich. Wir haben es geschafft, in die höchste Liga aufzusteigen und uns dort im Mittelfeld etabliert. Dem Fußball bin ich, wenn auch nicht aktiv, bis zum heutigen Tage treu geblieben. 

Du bist im Behindertensport sehr aktiv. Wie kam es dazu? 

Angefangen hat alles mit meiner Tätigkeit als Gruppenleiterin in einer Werkstatt für Menschen mit (geistiger) Beeinträchtigung im Jahr 2003. Hier gestaltete ich im Rahmen von arbeitsbegleitenden Maßnahmen (ABM) Bewegungsangebote wie Nordic Walking. In Gesprächen mit Eltern drückten diese immer wieder ihr Bedauern aus, dass es für ihre Angehörigen keine passenden Sportangebote gibt.

Vom Sozialdienst der Werkstatt kam der Vorschlag, für die professionelle Gestaltung von Sportangeboten innerhalb der Werkstatt, die Ausbildung zum Sportübungsleiter für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung zu machen. Diesen Vorschlag fand ich toll und mit großer Begeisterung begann ich die Ausbildung. In den verschiedenen Lehrgängen lernte ich viel über den menschlichen Körper und die Gestaltung von Sporteinheiten. Am wertvollsten für mich waren jedoch die Ideen, wie jedem Menschen, auch mit starken geistigen/körperlichen Einschränkungen, ein für ihn passendes Sport- oder Bewegungsangebot gemacht werden kann.

Nach Abschluss der Ausbildung wollte ich diese Ideen natürlich mit vielen sportlichen Angeboten in der Werkstatt umsetzen. Leider wurde dies dort nicht so unterstützt, wie ich es mir gewünscht hätte. Sport sollte möglichst nur in den Pausen und wie vorher auch bei einer ABM angeboten werden. Für Fußball oder anderen Teamsport gab es außerdem keinen geeigneten Platz. So suchte ich nach anderen Wegen Sport für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung anzubieten.

Und welchen Weg hast du eingeschlagen?

Über den örtlichen Bürgermeister kam ich mit dem FSV Bad Friedrichshall in Kontakt. Hier konnte ich ab September 2009 eine Behindertensportabteilung für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung aufbauen. Erste Angebote waren eine Gymnastikgruppe -Sport Spiel und Spaß-, Fußball und – für Rollstuhlfahrer und stärker beeinträchtigte Sportler – Boccia. Die Abteilung wuchs rasch und es kamen weitere Angebote wie Karate, Drums Alive und (im Winter) Schneeschuhlauf dazu. Die Behindertensportabteilung beim FSV Bad Friedrichshall gibt es bis heute.

Aber du bist dort nicht mehr aktiv? 

Nein, im Jahr 2015 wollte ich neue Wege gehen. Dabei erinnerte ich mich an die Behindertensportgemeinschaft (BSG) Neckarsulm, zu welcher ich bereits bei meiner Ausbildung zur Übungsleiterin Kontakt hatte. Das Angebot der BSG richtete sich bis dahin an Sportler mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Schwerpunkte waren Schwimmen und Rehasport mit Wassergymnastik und Gymnastikkursen. Die BSG war jedoch bereit ihr Angebot für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung zu erweitern und 2016 begann ich dort mit dem Training einer Fußballgruppe mit 7 Kickern. Rasch hatte sich dieses neue Angebot herumgesprochen und die Fußballgruppe wuchs. Bald kam auch eine Schwimmgruppe dazu. Heute nach 5 Jahren besteht die Fußballabteilung aus drei Mannschaften mit 40 Kickern mit Beeinträchtigung. Die Schwimmgruppe ist inzwischen auf 16 Schwimmer angewachsen. Außerdem gibt es seit einigen Jahren eine Anfängergruppe bei welcher Spaß und sichere Bewegung im Wasser im Vordergrund stehen. Die Schwimmer und Fußballer nehmen regelmäßig an Turnieren und Wettkämpfen von Special Olympics teil. Von meinen vielen Ideen für weitere Sportangebote konnte ich Anfang 2020 die Gründung eine Unified Basketballmannschaft und einer Kanu-Gruppe umsetzen. 

Welche Funktion hast du heute dort? 

Anfang 2017 wurde ich zum Vorstand der BSG Neckarsulm gewählt. Damit hatte ich die Verantwortung für die gesamte Vereinsführung. Um dieser neuen Aufgabe gewachsen zu sein, absolvierte ich beim WLSB eine Fortbildung zum Vereinsmanager. Wichtig und manchmal nicht so einfach ist es, alle Vorschriften zur Gemeinnützigkeit, zum Vereins-, Steuer-, und Vertragsrecht im Blick zu halten und zu beachten. Von der Abrechnung mit den Übungsleitern über Anmeldungen zu Turnieren und Abrechnung mit Teilnehmern bis zur Stellung von Förderanträgen ist viel Verwaltungsarbeit zu machen. Wichtig sind auch die Öffentlichkeitsarbeit zur Sponsoren- und Mitgliedergewinnung, die Gewinnung und Begleitung von Trainern und Unterstützern die Organisation von Trainingszeiten/-orten, die Koordination der Trainingseinheiten und vieles mehr. 

Als Trainer leite ich weiterhin das Fußballtraining aller 3 Mannschaften. Trotz intensiver Suche konnte ich hier nur Co-Trainer gewinnen und niemanden, der eine Mannschaft selbständig trainiert. Bei den Kanuten bin ich unterstützend im Training dabei. Die Schwimmer und Handballer organisieren sich weitgehend selbständig. Trotzdem sind viele Gespräche mit Sportlern, Eltern, Angehörigen und Betreuern nötig. Häufige Fragen sind hier: Wie kann ich trotz meiner Behinderung mitmachen? Wie wird der Sportler mit seinen Eigenheiten begleitet? (Wo) findet das Training/der Wettkampf statt? Wie komme ich da hin? Was muss ich mitbringen? 

Zeitungsartikel über ein Spiel von Heike

Was sind deine schönsten Erinnerungen an deine bisherige Zeit im Sport? 

Mein größter Erfolg ist zweifelsohne, die Inklusion von Menschen mit mentaler Beeinträchtigung im Sport im Raum Heilbronn vorangebracht zu haben. Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit, verschiedenste Projekte und vor allem persönliche Kontakte gelang es Hemmschwellen abzubauen und Interesse zu wecken. 

Besonders freut es mich, dass inzwischen fast 100 Menschen mit mentaler Beeinträchtigung bei der BSG Neckarsulm eine sportliche Heimat gefunden haben. Hier kann (fast) jede/r eine Sportart finden, sich mit seinen/ihren Fähigkeiten einbringen und auch im Wettkampf messen. 

Mit großem Stolz erfüllt mich auch, dass ich mit der ersten Fußballmannschaft der BSG 2019 bei den Weltspielen von Special Olympics in Abu Dhabi Deutschland vertreten durfte und wir eine Bronzemedaille erkämpften. Auch eine Schwimmerin der BSG wurde zu diesem Großereignis nominiert und kehrte mit einer Silbermedaille zurück. 

Noch heute muss ich lachen, wenn ich an folgende Episode denke: Einem Autisten in meiner Fußballmannschaft fällt es schwer dem Spielablauf zu folgen oder gar in den Zweikampf zu gehen. Bei einem Turnier gab ich ihm daher den Auftrag immer ganz dicht bei dem gegnerischen Spieler mit der 7 auf dem Trikot zu bleiben, egal was dieser macht. Diese Aufgabe erfüllte er hervorragend, aber irgendwann konnte ich ihn auf dem Spielfeld nicht mehr entdecken. Der Gegenspieler war ausgewechselt worden und pflichtbewusst blieb mein Spieler an seiner Seite und ging mit ihm vom Platz. 

Und deine größten Rückschläge? 

In meiner aktiven Fußballerinnenzeit war es natürlich sehr frustrierend, wenn wir einen schon sicher geglaubten Sieg durch eigene Fehler verloren. Jetzt bei der BSG ist für die Sportler natürlich auch das Ziel einen Wettkampf zu gewinnen und weiter zu kommen. Trotzdem überwiegt besonders im Mannschaftssport die Spielfreude. Teamgeist und Fairness werden groß geschrieben. Und wenn man trotz großem Einsatz nicht gewinnen konnte, feiert man eben mit den anderen deren Sieg. 

Für mich persönlich ist es immer eine große Enttäuschung, wenn Trainer oder Unified-Partner das Interesse verlieren, wegziehen oder aus beruflichen Gründen nicht mehr kommen können. Hier ist es oft schwer die Lücken zu füllen und Begonnenes fortzuführen. 

Was ist für dich Inklusion? Und welchen Beitrag kann der Sport dazu leisten? 

Inklusion ist für mich ein „Miteinander“ und nicht nebeneinander von Menschen mit und ohne Behinderung. 

Zu Beginn meines Engagements im Sport für Menschen mit Beeinträchtigung war das Ziel, für diesen Personenkreis überhaupt die Ausübung von Sport zu ermöglichen. In den letzten Jahren beschäftigt mich aber immer mehr, wie gemeinsame Sportangebote für Menschen mit und ohne Behinderung geschaffen werden können. Bei Special Olympics, der Sportorganisation für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung, gibt es dafür Unified Partner, Sportler ohne Behinderung, die im Team oder als Mannschaft gemeinsam mit Menschen mit mentaler Beeinträchtigung antreten. 

Unified Partner zu suchen wurde für mich eine Leidenschaft. Einige frühere Begleiter bei Turnieren und Special Olympics Spielen nahmen die Herausforderung an und wurden Unified Partner. So konnten wir bei den Winterspielen Anfang 2020 im Schneeschuhlauf mit 6 Unified Partnern antreten. Selbstverständlich teilten sich die Unified Partner mit den behinderten Teamkollegen die Zimmer. Auch sonst fühlte man sich mehr als eine Gemeinschaft und die Grenzen zwischen „behinderten“ Sportlern und „Betreuern“ verschwammen. Unified Partner und Betreuer waren beeindruckt von der Offenheit, dem Teamgeist und der Fairness der Sportler. Sie lernten Menschen mit Handicap auf sehr persönliche Art kennen und werden künftig sicher selbst offener auf diese Menschen zugehen. 

Was wünschst du dir für deinen Sport? 

Ich wünsche mir, dass Menschen mit mentaler Beeinträchtigung ganz selbstverständlich bei den verschiedenen Sportangeboten in den Vereinen mitmachen können. Da sie im regulären Leistungssport jedoch selten mithalten können muss auch das Angebot an speziell auf diesen Personenkreis ausgerichteten Turnieren und Wettkämpfen ausgebaut werden. 

Und deine Ziele für die Zukunft? 

Bis zu den nächsten Special Olympics Wettkämpfen Deutschland 2022 in Berlin möchte ich den Unified Sport bei der BSG ausbauen. Dort sollen dann Unified Fußball- und Basketballmannschaften der BSG an den Start gehen. Daneben auch Unified Teams in den 2-er Kanus und evtl. Schwimmstaffeln. Das wäre ein großer Schritt in die Richtung Inklusion. 

Ein großer Wunsch ist es weitere Mitstreiter für Behinderten- und Inklusionssport zu finden, so dass sich die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen. Gerne würde ich dann wieder mehr direkt mit den Sportlern zusammen trainieren. 

Zum Schluss: Was würdest du anderen raten?

Im Hinblick auf den Sport für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung gilt für mich das Motto „Gemeinsam einfach machen“. Auch sonst ist es wichtig, dass man eine Sache, von der man überzeugt ist, einfach in Angriff nimmt und sich nicht schon von Anfang an von möglichen Hindernissen und den Vorbehalten anderer entmutigen lässt.